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Modul 6. Stunde 2. Risikofaktoren
1. Demenz bei unter 65-Jährigen – diese 15 Faktoren könnten den Ausbruch beeinflussen (Quelle: Der Spiegel)
Forscher legen in einer groß angelegten Studie nahe: Nicht nur das Erbgut, sondern auch der Lebenswandel entscheidet darüber, wann Demenz ausbricht. Diagnostiziert werden immer häufiger auch jüngere Menschen.
Britische Forscher haben 15 mögliche Risikofaktoren für den Ausbruch von Demenz bei Menschen unter 65 Jahren identifiziert. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die genetische Anlage jedes Einzelnen nicht die alleinige Ursache der Erkrankung ist, sondern auch der Lebenswandel eine entscheidende Rolle spielt.
Für die neue Studie der University of Exeter und der Universität Maastricht werteten die Forscher die Daten von 350.000 Teilnehmenden unter 65 Jahren aus ganz Großbritannien aus, gut 55 Prozent waren Frauen. Zum Studienstart waren die Probandinnen und Probanden im Schnitt 54,6 Jahre alt. Demenz trat in der Studie bei 485 Personen unter 65 Jahren auf. Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft hatte bereits im August 2022 darauf hingewiesen, dass in Deutschland deutlich mehr Menschen unter 65 Jahren an Demenz erkrankt sind als lange gedacht. Demnach sind in der Altersgruppe hierzulande mehr als 100.000 Personen betroffen. Dass zuletzt vermehrt Fälle entdeckt wurden, führen Fachleute auf eine verbesserte Diagnostik zurück.
Welche Faktoren treten gleichzeitig mit früh einsetzender Demenz auf?
Das britische Fachteam wollte nun wissen, was die Veranlagung einer Person für früh einsetzende Demenz beeinflussen könnte, einschließlich genetischer Faktoren, Lebensstil und Umweltfaktoren. Die Fachleute untersuchten dazu, welche Lebensumstände, Verhaltensweisen oder Vorerkrankungen bei den Probandinnen und Probanden, die eine Demenz entwickelten, besonders häufig zu finden waren. Die Ergebnisse sind in der medizinischen Fachzeitschrift »JAMA Neurology« erschienen.
Sie deuten darauf hin, dass geringe Bildung, ein niedrigerer sozioökonomischer Status aber auch Alkoholmissbrauch und soziale Isolation sowie Gesundheitsprobleme wie Vitamin-D-Mangel ein Faktor für den Ausbruch der Krankheit sein könnten. Besonders Menschen mit Störungen der Blutdruckregulation (orthostatische Hypotonie) erkrankten demnach häufig an Demenz. Auf Platz zwei und drei stehen aber bereits Depressionen und Alkoholmissbrauch. Das sind die 15 Risikofaktoren (absteigend):
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orthostatische (lageabhängige) Hypotonie
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Depression
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Alkoholmissbrauch
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Schlaganfall
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genetische Risikofaktoren
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soziale Benachteiligung
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Diabetes (aber nur bei Männern)
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Herzerkrankung
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Vitamin-D-Mangel
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Schwerhörigkeit
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Hohe Werte an C-reaktivem Protein
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soziale Isolation
Diese drei Faktoren waren in der Studie mit einem niedrigeren Demenzrisiko verbunden:
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moderater Alkoholkonsum
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Bildung
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Griffstärke (Muskelqualität)
Die Studie belegt damit allerdings nicht, dass etwa Depressionen das Demenzrisiko unmittelbar erhöhen. Denkbar ist auch, dass Menschen mit Depressionen weniger soziale Kontakte haben und dadurch eher an Demenz erkranken. Einen ähnlichen Effekt könnte es bei Schwerhörigkeit geben.
Auch ist die Studie kein Beweis, dass moderates Trinken vor Demenz schützt: Dieser Effekt könnte auf den »healthy drinker effect« zurückzuführen sein, schreibt das Fachteam. Danach sind Menschen, die Alkohol konsumieren, oft gesünder als Abstinenzler, die teils aufgrund eines schlechten Gesundheitszustands oder der Einnahme von Medikamenten nicht trinken. Der Alkohol schützt also nicht vor der Krankheit, sondern bereits bestehende Krankheiten verhindern in diesen Fällen den Alkoholkonsum.
Auffällig ist, dass in der Analyse Zigarettenkonsum, Bewegungsmangel oder schlechte Ernährung nicht mit einem erhöhten Demenzrisiko in der Verbindung standen.
Sebastian Köhler, Professor für Neuroepidemiologie an der Universität Maastricht und einer der Hauptautoren der Studie, erklärte: »Neben körperlichen Faktoren spielt auch die psychische Gesundheit eine wichtige Rolle, darunter die Vermeidung von chronischem Stress, Einsamkeit und Depressionen.«
Die Forscher hoffen, dass durch diese Erkenntnisse mehr Prävention möglich ist: »Die Studie zeigt zum ersten Mal, dass wir möglicherweise Maßnahmen ergreifen können, um das Risiko der Erkrankung zu verringern, indem wir auf eine Reihe verschiedener Faktoren abzielen«, erklärte Professor David Llewellyn von der University of Exeter.
Die Forscher wiesen außerdem darauf hin, dass der Ausbruch der Krankheit schwerwiegende Folgen für die jüngeren Betroffenen hat, da viele in der Regel noch einen Job und Kinder haben und mitten im Leben stehen.
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2. Beantworte die Fragen zum Text
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Welche Rolle spielt der Lebenswandel neben dem Erbgut bei der Entstehung von Demenz?
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Wie viele Personen unter 65 Jahren waren in der britischen Studie zu Demenz beteiligt?
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Welche Beziehung besteht zwischen sozioökonomischem Status und dem Risiko für Demenz?
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Wie beeinflusst orthostatische Hypotonie das Demenzrisiko?
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Welchen Einfluss haben Depression und Alkoholmissbrauch auf das Demenzrisiko?
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Warum ist moderater Alkoholkonsum mit einem niedrigeren Demenzrisiko verbunden?
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Welche Faktoren wurden überraschenderweise nicht mit einem erhöhten Demenzrisiko in Verbindung gebracht?
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Welche Rolle spielen psychische Gesundheit und Stressvermeidung bei der Prävention von Demenz?
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Wie können die Ergebnisse der Studie zur Prävention von Demenz beitragen?
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Warum sind Demenzfälle bei jüngeren Menschen besonders problematisch?
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3. Ein Hallo gegen Einsamkeit (Quelle: Der Spiegel)
Mit einer einfachen Idee will die schwedische Stadt Luleå Menschen aus der sozialen Isolation holen – und stößt damit international auf Interesse. Die Frau hinter der Kampagne hat dafür eine Erklärung.
Der Einfall kam ihr auf dem Fahrrad. Schon vor ein paar Monaten, als die Tage noch länger waren und die Temperaturen weniger eisig. Åsa Koski war auf dem Weg nach Hause, doch in ihrem Kopf bewegten sich noch Gedanken aus dem Büro. Die 44-Jährige arbeitet in der Verwaltung der schwedischen Stadt Luleå. Dort weiß man, dass viele der 80.000 Einwohner sich zumindest hin und wieder einsam fühlen.
»Die Zahlen sind zu hoch«, sagt Koski am Telefon und verweist auf eine Umfrage aus dem vergangenen Jahr. Demnach leidet fast jeder zweite Einwohner von Luleå zwischen 16 und 29 Jahren unter Einsamkeit. In der jüngeren Altersgruppe und unter älteren Menschen gaben jeweils mehr als ein Viertel der Befragten an, sich oft oder manchmal einsam zu fühlen. »Hinter diesen Zahlen stehen echte Menschen, es sind nicht einfach Nummern in einer Statistik«, sagt Koski.
Soziale Isolation macht krank. Menschen, die einsam sind, haben ein erhöhtes Risiko, schwer zu erkranken – etwa an Demenz, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Angststörungen oder Depressionen. Auch die Wahrscheinlichkeit, früh zu sterben, kann sich merklich erhöhen. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Einsamkeit ebenso schädlich wie der Genuss von 15 Zigaretten am Tag. Koski ist vertraut mit diesen Erkenntnissen. Auch deshalb habe sie sich etwas überlegen wollen, dass die Menschen in Luleå einander näherbringt.
»Als ich auf dem Rad durch die Stadt fuhr, habe ich an meinen Papa gedacht. Er hat früher jeden gegrüßt, den er getroffen hat«, sagt Koski. Es sei eine schöne Erinnerung an ihren Vater, der starb, als sie erst 16 Jahre alt war. Ihr sei bewusst geworden, dass das gegenseitige Grüßen in den Straßen von Luleå in den vergangenen Jahren immer weniger geworden sei. »Ich habe überlegt, dass man die Menschen wieder dazu bringen sollte, einander wahrzunehmen und ›Hallo‹ zu sagen.« Aus dieser Überlegung heraus entsteht schließlich in der Stadtverwaltung die Säg-hej-Kampagne.
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Wenige Sekunden, große Wirkung
Mit einem zwanzig Sekunden langen Film wirbt die Kommune für gegenseitiges Grüßen. Das Video kommt mit zwei Szenen und ohne Ton aus.
Szene eins: Eine junge Frau sitzt allein auf einer Parkbank, offenbar in Gedanken versunken. Eine Gedankenblase über ihrem Kopf zeigt drei Punkte an. Ein Passant kommt vorbei, winkt und lächelt, in seiner Sprechblase ist ein großes »Hej« zu lesen. Auch die Frau lächelt nun und denkt über die unerwartete Geste nach.
Szene zwei: Die junge Frau ist nun selbst unterwegs. Als ihr eine ältere Dame an Gehstöcken entgegenkommt, grüßt sie entschlossen – und hinterlässt ebenfalls jemanden, der anschließend offenbar besser gelaunt ist. Im Abspannt fasst das Video die Botschaft zusammen: »Ihr ›Hallo‹ kann einen Unterschied machen.«
Am 31. Oktober, dem Tag der Nachbarschaft in Schweden, startete die Kampagne offiziell. Vier Wochen lang zeigte man den Film anschließend in Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen. Auf der Seite der Kommune und auf ihren Auftritten in sozialen Netzwerken ist das Video weiterhin zu sehen. Koski beobachtet seither, wie die Kampagne Wirkung zeigt. In Bussen und im Park, unter jüngeren und älteren Menschen nehme sie viel öfter wahr, dass man einander grüßt.
»Es gibt Studien die zeigen, welchen Einfluss ein einfaches ›hej‹ haben kann«, sagt sie. Demnach könne eine Begrüßung das Wohlbefinden steigern, ebenso wie das persönliche Sicherheitsempfinden. »Die Wahrscheinlichkeit, dass wir jemandem helfen, mit dem wir einen kurzen persönlichen Kontakt hatten, steigt deutlich«, sagt sie. »Wir haben den Bewohnern von Luleå ein Instrument gegeben, dass sie nutzen können, um die Stadt freundlicher zu machen.«
Koski ist in Luleå geboren und aufgewachsen. Die Stadt sei bereits vor der Kampagne ein freundlicher Ort gewesen, sagt sie. In den vergangenen Jahren seien jedoch immer mehr Menschen zugezogen und die Vertrautheit etwas verloren gegangen. Luleå wächst, weil sich hier Unternehmen ansiedeln und Arbeitsplätze entstehen.
Koski weiß, dass die langen und dunkeln Winter zur Herausforderung werden können. Hier, nur gut hundert Kilometer entfernt vom Polarkreis, liegen an den kürzesten Tagen im Dezember kaum mehr als drei Stunden zwischen Sonnenauf- und -untergang. Wochenlang weht eisiger Wind. Das kann dazu führen, dass man zurückgezogener lebt. Der Alltag verlagert sich nach drinnen. Fremden kann es schwerfallen, Anschluss zu finden.
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WHO erklärte Einsamkeit zum globalen Gesundheitsproblem
Dennoch, so weiß Koski, sind die Menschen in Luleå nicht einsamer als anderswo. Im November erklärte die WHO Einsamkeit zu einem globalen Gesundheitsproblem und rief eine Kommission ins Leben, die in den kommenden Jahren Maßnahmen gegen soziale Isolation erarbeiten soll.
»Man kann Einsamkeit als sozialen Schmerz beschreiben«, sagt Einsamkeitsforscher Marcus Mund von der Universität Klagenfurt. Es handele sich um ein subjektiv wahrgenommenes Defizit in den eigenen Beziehungen. Von einer Einsamkeitsepidemie will er nicht reden, allerdings würde in den vergangenen Jahren häufiger darüber gesprochen. »Das hilft bei der Entstigmatisierung«, sagt er. Die Kampagne aus Luleå nennt Mund »sehr charmant«.
»Das ist eine total schöne Idee, die Menschen dabei helfen kann, sich gesehen zu fühlen«, sagt er. »Es entsteht ein Begegnungsraum, den man nutzen kann, um ein Gespräch entstehen zu lassen.« Schüchternen oder ängstlichen Menschen könnte es helfen, auf diese Weise angesprochen zu werden.
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